The Ugly Stepsister - Brutale Wahrheiten eines Märchens
Diese moderne Neuinterpretation (nur!) für Erwachsene erinnert uns endlich auch mal wieder daran, dass Märchen wie Aschenputtel nur bei Walt Disney und in unserer naiven Vorstellungskraft “schön” beziehungsweise magisch “märchenhaft” zu verstehen sind. The Ugly Stepsister verändert als Body-Horrorfilm weniger als man meint, um zu einem brutal anderen, desillusionierend feministischen Ergebnis zu kommen.
Daniel spoilert in diesem Podcast nichts überraschendes und die Handlung basiert ohnehin auf der sehr bekannten Schneewittchen-Geschichte.
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Die Letzte Filmkritik - Poor Things
Kurzfassung des Filmkritik-Podcasts als Text:
Klingt das nach dem Aschenputtel, das wir aus der Grimm'schen Märchensammlung kennen? Vielleicht nicht auf den ersten Blick. Doch wer sich an das grausame Detail am Ende erinnert – als sich eine der Stiefschwestern Zehen abschneidet, um in den gläsernen Schuh zu passen – erkennt: Die Brutalität war im Original schon immer da. The Ugly Stepsister nimmt genau diesen Aspekt als Ausgangspunkt und entfaltet daraus eine moderne, brutale Body-Horror-Version des Märchens, die dennoch nah an der ursprünglichen Geschichte bleibt.
Die Handlung spielt in einem fiktiven Königreich ohne genau definierte Zeit, von Kleidern und Kulissen her aber angelehnt an klassische, osteuropäisch produzierte Märchenfilme. Im Zentrum steht nicht Aschenputtel bzw. Aschenbrödel, sondern eine der Stiefschwestern. Sie liest in einem Buch ihre eigene Wunsch-Märchenwelt, und diese Fantasien präsentiert der Film mit verschwommenen, nostalgisch-verklärten Bildern, die sich kontrastreich von der grausamen Realität abheben. Dieser Stil bringt eine zentrale These des Films auf den Punkt: Wir erinnern uns an Märchen als schöne Geschichten, obwohl sie in Wahrheit oft brutale Gesellschaftsbilder enthalten.
The Ugly Stepsister überträgt diese Botschaft in eine satirische, blutige Farce. Die Stiefschwester wird zur tragischen Hauptfigur: nicht böse aus Bosheit, sondern getrieben vom sozialen Druck, schön genug zu sein, um geliebt und überhaupt beachtet zu werden. Ihre Mutter drängt sie dazu, sich für einen der Reichen im Land präsentabel zu machen, der Prinz soll die Rettung sein. Was folgt, ist ein Martyrium an Selbstoptimierung. Der Weg führt über schmerzhafte Body-Modifikation: Nasenkorrektur mit Hammer und Meisel, Zähneziehen, Zehenamputation – alles explizit inszeniert.
Der Prinz selbst? Ein überhebliches, misogynes Arschloch. In einer Schlusspointe, die fast schon tragikomisch ist, ignoriert die Stiefschwester all seine offensichtlichen Defizite. Sie lebt in ihrer Fantasie weiter, unfähig zu erkennen, dass das Märchen, dem sie nacheifert, nur in ihrem Kopf funktioniert. Der Film verurteilt sie dafür nicht. Vielmehr zeigt er, wie gesellschaftlicher Druck, internalisierte Misogynie und die Verzweiflung eines Lebens am sozialen Abgrund zu dieser Selbstzerstörung führen.
Was The Ugly Stepsister so stark macht, ist, dass er sich nicht in eine eindimensionale Umkehrung des Märchens flüchtet. Es gibt keine Superheldinnen-Aschenputtel, keine stumpfe "Jetzt retten die Frauen die Männer"-Agenda. Vielmehr ist dies ein feministischer Film, der genau die systemischen Probleme zeigt, die das Originalmärchen bereits enthielt: Frauen, die gegeneinander ausgespielt werden, patriarchale Strukturen, die nur durch Männer Aufstieg ermöglichen, und eine Gesellschaft, die Weiblichkeit nach starren Schönheitsidealen bewertet.
Am ehesten erinnert der Film streckenweise an Yorgos Lanthimos' Poor Things, nur eben mit einem reduzierten Budget und entsprechend deutlichen Abstrichen bei Größe der Sets, Detailreichtum und Ausmaßen der Geschichte - aber trotzdem mit klarem Blick aufs Geschehen. Viele Nahaufnahmen, intime Räume, ein Fokus auf Gesichter, Verformungen, Details. Das Production Design wirkt bewusst eng, minimalistisch, aber nie billig. Es lässt den psychischen Druck der Protagonistinnen spürbar werden.
Die norwegische Regisseurin Emily Blichfeldt legt mit ihrem Langfilmdebüt ein Werk vor, das als eines der besten Märchen-Remakes der letzten Jahre gelten darf. Ganz besonders für ein erwachsenes Publikum - und nur dieses sollten so einen inhaltlich wie visuell brutalen Film überhaupt anschauen. Statt simplifizierter Empowerment-Rhetorik gibt es hier ehrliche Komplexität. Statt Hollywood-Happy-End eine tragische Katharsis. Und am Ende bleibt die Erkenntnis: Das Grauen war schon immer im Märchen enthalten – wir haben es uns in unserer Fantasie nur alles schöner und angenehmer vorgestellt.
(Autor: Daniel Pook)
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Dieser Podcast wurde von Daniel in unserem Studio in Berlin aufgenommen.