OverExposition - Hollywoodgate: Taliban-Doku als Gegenstück zu Influencer-PR
Afghanistan unter den Taliban ist ein wunderbares Urlaubsziel. Diesen Eindruck jedenfalls gewinnen wir, wenn wir nur den Videos von Reise-Influencern Glauben schenken, die sich zwecks Imagebereinigung vom Terrorregime haben vor den Karren spannen lassen. Das Gegenstück dazu sehen wir seit dem 14. August im Kino. Für die Dokumentation Hollywoodgate erlangte Regisseur Ibrahim Nash’at Befugnis, die Taliban kurz nach dem Abzug der US-Truppen aus Kabul ein Jahr lang hautnah mit seiner Kamera zu begleiten. Persönlich distanziert, aber mittendrin, nahm er auf, was immer er unter sehr eingeschränkten Bedingungen festhalten konnte, und brachte letztlich viel mehr Entlarvendes auf die Leinwand, als es seinen Bewachern vor Ort bewusst gewesen ist.
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Unsere Meinung aus dem Podcast als Text zusammengefasst:
Als Antwort auf die Anschläge vom 11. September 2001 zogen die Streitkräfte der USA nach Afghanistan, mit dem Ziel die Taliban und ihr verbündetes Terrornetzwerk al-Qaida auszuschalten. Was anfangs nach einem schnellen Erfolg der technisch überlegenen westlichen Truppen aussah, entwickelte sich zum längsten Krieg, den die Vereinigten Staaten je geführt haben. Mit dem überstürzten Rückzug der USA im Jahr 2021 fiel Afghanistan erneut komplett in die Hände der wiedererstarkten Taliban. Dabei fanden sie Waffen und Infrastruktur im Wert von mehr als sieben Milliarden US-Dollar vor. Darunter Black-Hawk-Kampfhubschrauber, Drohnen und ganze Militärbasen voll Munition und Equipment, das einfach zurückgelassen wurde.
Hier setzt Hollywoodgate von Ibrahim Nash’at an. Der in Berlin lebende Regisseur konnte ein Jahr lang unter ständiger Aufsicht ranghohe Taliban und deren Zugang zu einer zurückgelassenen CIA-Basis filmen, deren Name dem Film seinen Titel verleiht. Die Taliban bezeichneten ihn im Hintergrund als „Teufel mit der Kamera“ und äußerten sogar Drohungen, die der Filmemacher oft erst hinterher mithilfe von Übersetzern während der Materialsichtung verstand. Gerade deshalb ist dieser Film so einzigartig: Ohne Kommentar oder Erklärstimme still beobachtet, entlarven sich die Taliban durch ihre eigenen Gespräche und unbeholfenen Handlungen selbst.
Sie zeigen Stolz auf Waffenarsenale, offenbaren gleichzeitig aber Inkompetenz in Verwaltungsangelegenheiten, Organisation und Umgang mit lebenswichtigen Ressourcen wie Medikamenten. Sie versuchen, sich als Befreiungsmacht darzustellen, beschneiden aber ihre Frauen um jede Form von Freiheit und Selbstverwirklichung. Das Bild ist grotesk: ein Regime, das übermächtig erscheinen will, aber unfähig wirkt, einen funktionierenden Staat aufzubauen. Und dem es eigentlich schon immer nur ums Kämpfen ging, das mit Sieg und kampfloser Zeit nichts anzufangen weiß. Das ein Battalion von Selbstmordbombern auf Motorrädern präsentiert, einfach nur um es für den Fall der Fälle parat zu haben. So etwas muss man bei gesundem Verstand und Grundverständnis von Menschenrechten nun wirklich nicht weiter kommentieren.
Die Stärke des Films liegt darin, dass er trotz aller Auflagen beim Dreh nicht als Propaganda funktioniert. Musik von Volker Bertelmann (Oscar für Im Westen Nichts Neues) verstärkt das permanente Gefühl von Bedrohung, doch entscheidend ist das rohe Bildmaterial: die Taliban zwischen Großmannssucht, brutalem Vorgehen gegen Aufständische und unfreiwillig komischem Posieren für die Kamera. Der Film zeigt außerdem, wie sehr der Westen durch seinen überstürzten Abzug selbst den Grundstein für diese neue Taliban-Macht gelegt hat. Zu einem Zeitpunkt gefilmt, als die meisten anderen Journalisten aus Afghanistan fliehen mussten, bedroht oder gar ermordet wurden. Das macht den Film unbequem, anspruchsvoll, er fordert viel Mitdenken und etwas Vorwissen von uns ein – als Zeitdokument dieser spezifischen Situation jedoch ist er gerade darum wichtig und schlichtweg einzigartig.
Während Influencer dieser Tage in Sozialen Medien als naive Sprachrohre Taliban-Tourismus bewerben, liefert Hollywoodgate das nötige Gegengewicht. Der Film behauptet nicht, das „wahre Afghanistan“ zu zeigen, sondern nur das, was der Regisseur sehen durfte – und dass da vieles fehlt, sagt er uns zu Anfang und am Schluss seines Films explizit. Wer genau hinsieht, erkennt die Propagandamaske, sieht das brutale Regime dahinter aus nächster Nähe und schämt sich für die erschreckende Verantwortung des Westens für dessen Wiedererstarken.
(Autor: Daniel Pook)
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Dieser Podcast wurde von Daniel Pook in unserem Studio in Berlin aufgenommen.