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Memoiren einer Schnecke - Animationskunst für Erwachsene

Memoiren einer Schnecke - Animationskunst für Erwachsene

Vieles in Memoiren einer Schnecke von Adam Elliot erinnert an Tim Burtons Filme,… als er noch gut war. Ein gänzlich handgemachter Animationsfilm für Erwachsene, mit liebevoll detaillierten Skurrilitäten und metaphorischer Geschichte über Verlust, Einsamkeit, Hoarding, den ein oder anderen Fetisch und einiges an Traumata. All das sollte für euch Grund genug sein, eure persönlichen Schneckenhäuser für eineinhalb Stunden gegen den Kinosaal auszutauschen. Lasst nur unbedingt eure Kinder zuhause!

Originalbild: Memoiren einer Schnecke / © Capelight Pictures (2024)

Wir bemühen uns, in dieser Filmkritik nichts unnötiges oder überraschendes zu spoilern. Brobert & Daniel sprechen in dieser Rezension aber ohnehin so gut wie gar nicht über die Handlung des Films.


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Unsere Meinung aus dem Podcast als Text zusammengefasst:

Memoiren einer Schnecke ist einer dieser seltenen Animationsfilme, die schon durch ihre Entstehungsgeschichte auffallen: Ein komplett handgemachtes Stop-Motion-Projekt, das ohne CGI auskommt und über fast ein Jahrzehnt hinweg entstanden ist. Mit Knetfiguren, Miniatursets, praktischen Effekten – und einer bemerkenswerten Menge Gleitgel für die Flüssigkeitssimulation – entfaltet Regisseur Adam Elliot eine Welt, die sich mit ihrer wirklich aussehenden Haptik vom typischen, modernen Animationsfilm erfreulich abhebt. Und diesen authentisch gehaltenen Stil seiner realen Tricktechnik auch offener erkennbar zur Schau stellt als etwa Wallace & Gromit, Isle of Dogs oder die Laika-Stop-Motion-Filme der vergangenen Jahre.

Der Film richtet sich klar an Erwachsene. Schon die Themen lassen daran keinen Zweifel: Verlust, Trauer, Depression, Isolation und Selbstwertprobleme bilden das emotionale Fundament. Dazu kommt ein visueller Stil, der die grotesken, morbiden und teils unbequemen Facetten dieser Gefühlswelten in plastischen, bewusst ungeschönten Bildern umsetzt. Die Ästhetik – dunkel, leicht bräunlich, oft ins Unheimliche kippend – erinnert in ihrer Stimmung stark an frühere Tim Burton-Werke wie The Corpse Bride oder Frankenweenie.

Dabei ist Memoiren einer Schnecke nie nur schwer oder deprimierend. Der Film balanciert seine düsteren Themen mit schrägem Humor, überzeichneten Nebenfiguren und einer charmanten Schrulligkeit, die das Geschehen greifbar macht. Selbst in den dunkelsten Momenten finden sich kleine visuelle oder erzählerische Einfälle, die das Erlebte abfedern – ein feines Gegengewicht, das verhindert, dass die oft traurige Handlung erdrückend wirkt.

Visuell lebt der Film von seiner physischen Präsenz. Im Gegensatz zu vielen modernen Stop-Motion-Produktionen, die mit digitaler Glättung oder anderen Mitteln versuchen, sauber abgerundet wie reale Fantasiewelten auszusehen, bleibt hier das Handgemachte sichtbar: Oberflächen haben Kanten, Materialien wirken wie aus einem Puppenhaus entnommen. Die Beleuchtung hat auch eine gewisse Spielzeughaftigkeit. Dieser Look verstärkt die Fasziniation des Ungewöhnlichen und sorgt dafür, dass jede Bewegung, jedes Detail noch bewusster als Ergebnis von minutiöser Handarbeit wahrgenommen wird.

Inhaltlich erzählt der Film keine lineare, spannungsgetriebene Geschichte, sondern entfaltet sich eher als Serie von Episoden und Metaphern. Die Hauptfigur zieht sich – wie die titelgebende Schnecke – in ihr „Haus“ zurück, konfrontiert mit Erinnerungen, unverarbeiteten Traumata und der eigenen Unfähigkeit, sich zu öffnen. Sie ist überdies Schneckenfan und Hoarderin in Kombination. Der Handlung geht weniger um Überraschungen als um die Verdichtung dieser Zustände. Hinzu kommt die Schnecke als angebetetes Symbol, frenetisch gesammeltes Motiv, direkt präsent in der Filmwelt.

Dass Memoiren einer Schnecke bei den Oscars in der Animationskategorie nominiert war, ist angesichts des künstlerischen und handwerklichen Niveaus folgerichtig – auch wenn letztlich Flow die Trophäe gewann. Beide Filme sind in ihrer Unabhängigkeit, in der Liebe zum Detail und im Kontrast zu den großen Studioproduktionen wie Inside Out 2 bemerkenswert. Es ist beinahe tragisch, dass ausgerechnet zwei der herausragenden Indie-Animationslangfilme der letzten Jahre nun beide während derselben Oscar-Verleihung in einer Kategorie gegeneinander antreten mussten

Memoiren einer Schnecke ist ein herausragendes Beispiel für erwachsene Animation, die sich kompromisslos von Massenware absetzt. Der Film ist visuell ein Fest für Stop-Motion-Fans, thematisch intensiv und zugleich zugänglich durch seinen schwarzen Humor und seine skurrilen Figuren. Kein Werk für Kinder, wohl aber ein Must-See für all jene, die Animation als ernsthafte Kunstform schätzen, ja auch im Kino unterstützen wollen – und ein Beweis dafür, wie viel Ausdruckskraft in zehn Jahren handwerklicher Hingabe stecken kann.

(Autor: Daniel Pook)



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Dieser Podcast wurde von Daniel Pook in unserem Studio in Berlin aufgenommen.

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