FILMKRITIK FILTERN


Letzte Worte über Universal Language

Letzte Worte über Universal Language

Stellt euch vor, ihr träumt von der Stadt Winnipeg in der kanadischen Provinz Manitoba, in der aber merkwürdigerweise hauptsächlich Farsi und etwas Französisch gesprochen wird. Als würde sie plötzlich irgendwo zwischen Kanada und Teheran liegen. Dort trefft ihr einen Weihnachtsbaum mit Beinen, einen diebischen Truthahn und Schüler, die viel Geld im Eis eines zugefrorenen Sees erspäht haben. Universal Language ist ein wunderbar absurder Film, der herrlich unterhaltsam ist und uns viel über Filmkunst als Sprache bewusst macht, die eigentlich keine Grenzen zwischen Menschen, Kulturen oder eben geografischen Orten kennt.

Originalbild: Universal Language / © Oscilloscope Laboratories (2024)

Lasst euch diesen Artikel von Daniel alternativ auch im Podcast “Die Letzte Filmkritik” komplett vorlesen.

Schnee bedeckt die Straßen, aber die Schilder leuchten auf Farsi. Es muss ein Traum sein: Denn hier stiehlt ein Truthahn Brillen, und eingefrorene Geldscheine locken Schulkinder wie ein verbuddelter Schatz. Direkt vor ihren Augen, aber durch dickes Eis doch unerreichbar. Regisseur Matthew Rankin taucht in der Aneinanderreihung vieler kleiner, amüsant schrulliger Vignetten selbst als Figur auf: ein Heimkehrer, der seine eigene Stadt nicht wiedererkennt. Von dem ich aber annehme, dass er in diesem absurden Theater eines Paralleluniversums zu unserer Realität, der Träumer ist.

Universal Language ist Film gewordene, surreale Traumwelt. Als hätte sich ein Yorgos Lanthimos aus früheren Tagen von Dogtooth und The Lobster die Puppenhaus-Optik eines Wes Anderson angeeignet. Wobei Matthew Rankin den analogen Bildstil, seine ganze Ästhetik für Universal Language, eher von Filmen aus iranischer Independent- und Staatsproduktion von Mitte der 60er bis Anfang der 90er Jahre extrahiert haben will.

Schon aufgrund dieser originellen Mischung an Einflüssen mit dem kanadischen Setting wirkt Universal Language nie bloß wie eine reine Kopie von quirlig-dioramenhaften Komödien amerikanischen Independent-Kinos. Er hat auf der anderen Seite genug eigene Ideen und westliche Elemente, iranisches Kino, insbesondere Filme Abbas Kiarostamis, nicht nur plump nachzumachen. Diesen nennt Rankin übrigens häufig direkt als große Inspiration, unter anderem wegen seines Meisterwerks Where is the Friend’s House?.

Gedreht auf körnigem 16-mm-Film, nutzt Universal Language als Bildformat 1,66:1 - das Seitenverhältnis ist also etwas schmaler als typisches Kino-Widescreen, aber noch deutlich vom alten Fernsehstandard 4:3 entfernt. Es fügt der inhaltlich betont kindlichen Perspektive des Films optisch ein nostalgisches Flair von Erinnerungen bei, ahmt bildästhetisch zudem staatlich finanzierte Produktionen der iranischen Kanoon Institutes nach - deren auf junge Menschen zugeschnittene Produktionen Matthew Rankin auf seinem Weg, Regisseur zu werden, stark geprägt haben sollen. Kanoon hat obendrein mehrfach spätere iranische Ausnahmeregisseure hervorgebracht.

Wie sähe es aus, wenn die Bildsprache jener Filme und ihre ganz eigene Kultur aus Teheran, inklusive der Sprache, sich im Traum vermischten, mit Kindheitserzählungen von Rankins Oma, anderen Familienmitgliedern und dessen eigenen Eindrücken vom Aufwachsen in der kanadischen Provinzhauptstadt? Genau dieser verrückte Traum, oder eine fiktive Vorstellung davon, hat nun hier die herrlich ungewöhnliche Mischung von Universal Language ergeben.

Dieses Konzept demonstriert schön auch Film als universelle Sprache mit traumartigen Fähigkeiten, verrückteste Mischungen aus Dingen und Orten unserer Realität in einen doch vertraut und verständlich wirkenden Einklang bringen zu können. Als würden wir in eine leicht verschobene Parallelwelt blicken. Eine Welt voller Gegensätze aus Ordnung und Chaos, die in sich dennoch harmonisch scheint.

Solche Gegensätze stimmig zusammenzuführen, auf Bild- und Inhaltsebene, das ist, wozu Kunst imstande ist, wenn man sich vom reinen Abbilden der Realität löst, aber eine inhärente eigene Logik, und menschlich emotionale Wahrheit, dabei nicht aus den Augen verliert. Das alles ist Matthew Rankin hier vortrefflich gelungen. Und zwar viel weniger abstrakt, als sich das jetzt in dieser Analyse hier als Text lesen dürfte. Universal Language zu gucken, kommt durchaus sehr nahe an das Zuschauererlebnis bei einem typischen Wes Anderson Film. Mit all den kleinen Gags, niedlichen Details, liebevoll verrückten Charakteren. Es ist gar nicht denklastig, sondern macht pure Freude, diesen Film einfach locker zu genießen.

Und dann kann er einem noch viel mehr eröffnen, wenn man eben beginnt, sich darüber Gedanken zu machen, weshalb alles in der Welt von Universal Language genau so komponiert und durchmischt wurde. Warum wir an manchen Stellen verschiedenste Emotionen empfinden, ohne den Kontext immer sofort zu verstehen. Ganz besonders trifft dies auf das Finale des Films zu, bei dem Rankins Charakter Matthew sehr im Fokus steht.

Rankin hat in Interviews erklärt, dass Universal Language als „poetische Halluzination“ entstand, inspiriert von seiner Faszination für iranisches Kino und der Idee, kulturelle Grenzen durch Kino aufzulösen. Gar nicht ist das als identitätspolitisches Szenario oder Kommentar über “Multikulti”, Globalisierung oder Verschwörungsmythen á la "Great Replacement Theory" zu verstehen. Viel mehr entlarvt Rankins Traumszenario, wie unnötig derartige Debatten sind, die nur Gräben schaffen, während Kunst als universelle Sprache alle Kulturen und Traditionen spielerisch zusammenführen kann.

Territorien und Gruppierungen wurden ja schließlich auch irgendwann bloß als abstrakte Ideen von Menschen erfunden. Es sind doch die Leute darin und das, was sie denken und erreichen wollen oder bereit sind dafür zu tun, wie sie miteinander umgehen und mit Fremden, was im Wesentlichen die Seele jedes Ortes ausmacht. Und es sind doch die Bewohner/innen auch dieses Films - mit ihren Sorgen, Verfehlungen, guten Taten und Hoffnungen, die alle sowohl für sich als auch miteinander Geschichten schreiben. Während sie umgeben sind von nicht kontrollierbaren Ereignissen, Naturgewalten, noch nicht ganz verstandenen Prozessen - und hier auch einem eigenwilligen Truthahn, den niemand so recht zu fassen imstande ist, dessen Anwesenheit aber viel Einfluss auf Winnipegs Bewohner/innen hat.

Das könnte so übrigens auch eine weniger vulgäre Version von South Park sein, die wir hier mit echten Schauspielern vorgeführt bekommen. Daran musste ich nicht nur wegen all des Schnees oft denken.

Von der ersten Minute an setzt der Film voll auf skurrilen Humor. Da wird einem kleinen Jungen vom Truthahn seine Brille gestohlen. Ein Lehrer in einem französisch-persischen Sprachmix referiert vor noch recht jungen Schüler/innen über die „Hoffnungslosigkeit der Menschheit“ und macht ihnen wenig Mut, wenn sie von ihren Träumen erzählen, was sie einmal werden wollen. Dass ein kleiner Groucho-Marx-Fan mit entsprechendem Bartwuchs in der Klasse sitzt und dieser offensichtliche Klassen-Clown der Gruppe schon bald nur noch aus dem zugesperrten Schrank heraus am Unterricht teilnehmen darf, ist simpel und doch urkomisch.

Es funktioniert umso besser, weil alle Schauspieler/innen von klein bis groß wirklich exzellent spielen, viele ihrer amüsant-drolligen oder absurd übertriebenen Aussagen stets sehr überzeugend ernst gemeint vortragen. Auch dieses Konzept trägt sich durch den gesamten Film.

Nur wenig später finden zwei Mädchen den bereits erwähnten, gefrorenen 500-Rial-Schein im Eis, versuchen ihn mit einer Axt zu befreien. Doch das Eis ist härter als jede Logik. Diese absurden Momente sind keine Gags um der Gags willen, sondern unterstreichen, wie die Figuren beherzt und unbeirrt ihren Weg in einer Welt voller Gegenwind und Widersprüche finden müssen. So wie der Fremdenführer bei seiner Tour in trister Betonhauskulisse über einen Koffer referiert, den mal jemand auf einer Parkbank hat liegen lassen. Weil das in Winnipeg schon als aufregendes Ereignis gilt, hat sich über Jahre bis heute niemand gewagt, diesen Koffer zu öffnen oder zu entfernen. Für den Tour-Guide, der in einer ansonsten mehr trist und verschlafen wirkenden Stadt irgendwie seinen Job rechtfertigen muss, ist dieser Koffer seitdem eine willkommene Sehenswürdigkeit für jede Touristenführung.

Winnipegs brutalistische Betonbauten im gemeinsamen Stadtbild neben verzierten Ziegelsteinfassaden spielen eine weitere Hauptrolle. Rankin gibt den kantigen Gebäuden mit ihren geraden Linien viel Omnipräsenz - wie überhaupt allen Kulissen des Films. Gewaltige architektonische Ungetüme, riesige staatliche Propagandaplakate und oft leere Plätze davor oder daneben wirken wie vollumfänglich errichtete Bühnenbilder eines ambitioniert ausgestalteten Theaterstücks, dessen Thema sich nicht zwischen Utopie und Endzeit-Flair entscheiden konnte. Man soll nicht glauben, die vielen Symmetrien im Bild und die starre Ordnung der größeren Bauwerke, würde Bewohner/innen Orientierung liefern, tatsächliche Ordnung in diese verrückte Stadt bringen. Die trotzdem irgendwie funktioniert und ihre eigene, besondere Schönheit hat. Eine homogene Komposition der Gegensätze. Und der Film sagt: Das Leben findet trotzdem seinen Weg

Was die Ohren in Universal Language erleben, ist so hybrid wie die Bilder: Ein persischer Santur-Meister (Amir Amiri) und ein Québecer Elektronik-Tüftler (Christophe Lamarche-Ledoux) haben hier einen Soundtrack geschaffen, der ein akustisches Pendant zur Traumlogik des Films erzeugt, eine eigene musikalische Identität. Eine Klangsprache, die weder Ost noch West ist, sich in ihrer Mischung der fiktiven Erlebniswelt und Drolligkeit vieler Szenen anpasst.

Rankins eigene Figur im Film kehrt aus der großen Metropole nach vielen Jahren ins immer noch große, sich aber eher wie eine Kleinstadt anfühlende Winnipeg zurück, um die kranke Mutter zu besuchen. Findet aber stattdessen eine Stadt vor, die er nicht mehr „lesen“ kann. Persische Schriftzüge an Betonwänden, Teestuben nach arabischem Vorbild. Aber muss das Ungewohnte, muss Veränderung, muss Zusammenführen von Kulturen, die mal weit auseinander lagen, denn gleich so sehr verunsichern. Nicht das neue Winnipeg als solches für sich hat ihn bedrückt. Er hat dort jedoch die Szenen seiner Kindheit nicht mehr passend abgleichen können.

Für ihn ist das Andere, das Neue, im ersten Moment nur der Tod des Alten. Um am Ende dann doch zu realisieren, dass sich beides nicht ausschließen, man das Vergangene ehren und doch Neues zulassen kann. Und dass Menschlichkeit, im Hier und Jetzt, in diesem Prozess das eigentlich universell Wichtige, versönliche ist - lernt er zu verstehen, als er von der Güte einer Familie für seine kranke Mutter erfährt, die er allein gelassen hatte. Empathie - eine weitere Universal Language, deren Kraft uns Rankins Film begreiflich machen kann. Ohne zu predigen.

Universal Language ist - wie schon erklärt - kein Film über invasive Migration oder Kulturkampf, auch wenn oberflächlich schnell solch ein Eindruck entstehen kann. Besonders in Zeiten, wo diese Themen alltäglich den politischen Diskurs bestimmen. Es ist ein ausufernd liebevoll präsentiertes Experiment von viel zeitloserem Wert: Was, wenn Heimat kein Ort, sondern ein Gefühl ist?

Rankin baut dabei keine zaghaften Brücken zwischen Kulturen, sondern lässt sie kollidieren, weil der Anspruch sowieso niemals sein kann, irgendetwas immer unverändert gleich beizubehalten, während die Welt sich stetig verändert. Und das nicht immer in Babyschritten geschieht, die für unsere Egos sofort leicht verdaulich sein müssen.

Universal Language präsentiert uns solche Wahrheiten mit Humor, Melancholie und einem Truthahn als Running Gag. Seine Absurdität entlarvt dabei die Fragilität vermeintlich starrer Grenzen, sei es zwischen Sprachen, Kulturen oder Realität und Fiktion. Am Ende bleibt das Gefühl, einem geteilten Traum beigewohnt zu haben – komisch, bezaubernd und voller Fragen, die keine verbal formulierte Antwort brauchen, um tief in uns drin verstanden zu werden. Schon bevor wir herrlich amüsiert das Kino verlassen.

Der Letzte Monat (März 2025)

Der Letzte Monat (März 2025)

Der Letzte Monat (Februar 2025)

Der Letzte Monat (Februar 2025)

0